Valeria Drotskaja

Interview mit Malerin Annedore Dietze

Annedore Dietze Malerin Dresden Berlin Artikel Zeitgenössische Malerei

1998 schloss Dietze ihr Malereistudium mit der Meisterschülerprüfung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden ab. Im Jahr darauf machte Sie ihren Master of Arts am Chelsea College of Art and Design in London. Die Malerin wurde 2010 mit dem Wilhelm-Morgner Preis ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Dresden. 2011 trat ich zum ersten Mal als Studentin der HfBK Dresden mit der Künstlerin in Kontakt, wo Sie als Dozentin tätig war. Ihre Geradlinigkeit und die Konsultaitonen mit ihr haben mich stark beeinflusst 2016 habe ich Dietze im Rahmen meiner Diplomarbeit an der HGB Leipzig zu Themen der zeitgenössischen Malerei befragt. Was sie ausmacht, was die Künstlerin im Inneren treibt, dem Sachverhalt Frauen in der Kunst und Francis Bacon.


Die Künstlerin im Gespräch am 18.11.2016, Dresden Neustadt.


Drotskaja: Frau Dietze, Sie kommen aus Bischofswerda. Hat Ihre Herkunft Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst? Wenn ja, inwiefern?


Dietze: Ich stamme aus einem ostdeutschen, provinziellen, bürgerlichen Milieu, in dem der Bildenden Kunst traditionell eher weniger Bedeutung beigemessen wird als z. B. der Literatur oder der klassischen Musik. Kunst machen wird mehr als „Herstellung von verkaufbaren Objekten“ betrachtet. Trotzdem haben sich meine Eltern immer um eine zusätzliche künstlerische Bildung und Ausbildung für mich bemüht und es gelang mir relativ früh, zwischen 15 und 18 Jahren, mit freischaffenden Künstlern in Verbindung zu treten. Das war dann in der Zeit der Abendschule, einem vorbereitenden Abendkurs für künftige Kunststudenten der HfBK Dresden in der Außenstelle Bautzen.


Drotskaja: Erinnern Sie sich an entscheidende Momente Ihres künstlerischen Werdegangs?

Welche Knotenpunkte gab es in der Entwicklung ihrer künstlerischen Position?


Dietze: Nicht immer ist es mir gelungen, die Expressivität, das Radikale und Kompromißlose in die Malerei selbst einfließen zu lassen Einen spürbaren Bruch würde ich die Beschäftigung mit Blumen, Ornamenten und organischen, eher lieblichen Themen nennen, die jetzt mehr und mehr unterschwellig die substantielle, brutale und auch „zeitgemäße“ Malerei zum Vorschein bringen, an der ich in meinem Innersten immer interessiert war und bin.


Drotskaja: In Ihrem Werk taucht bis jetzt kein Selbstporträt auf. Wie stehen Sie zu diesem Sachverhalt?


Dietze: Ich habe als jugendliche Selbstporträts gemalt. Aber es hat mich später nie wieder interessiert. Da war ich auch zu selbstunverliebt. Es gibt diese traditionelle Mädchenerziehung. Immer schön bescheiden und ordentlich sein und sich eher zurückhalten. Mein Temperament wird mir ständig vorgehalten. Bei Langeweile um mich herum werde ich noch anstrengender. Ich habe bereits als Kind schon exzessive Sachen ausprobiert, weil mich das Ordentlichsein genervt hat. Aus diesem Grund habe ich auch kein Selbstporträt mehr gemacht. Es war für mich außerhalb jeglicher Reichweite von Idee mich selber zu malen.


Drotskaja: Ihre Bilder behandeln Themen wie nackte männliche Oberkörper, Boxkämpfe, Sumoringer, Jagdszenen, Tattoos. Würden Sie sagen, dass dies ein Ausdruck emanzipatorischer Auflehnung ist?


Dietze: Ich verstehe den feministischen Gedanken so, wie sich eigentlich alle wünschen wie er zu verstehen ist und zwar, dass man überhaupt erst gar nicht darüber nachdenkt. Also dass Gleichberechtigung eine gegebene Konstante unserer Gesellschaft ist. Dass man kein Zirkus veranstalten muss um sich als Frau ins Licht zu rücken, so habe ich das immer verstanden. Aber ich habe natürlich auch gemerkt, dass es in der heutigen Gesellschaft nicht geht, es müssen bestimmte Maßnahmen passieren. Auch in der Kunstwelt gibt es eine Profilierung männlicher Künstler. Die Betrachtung von Kunst wird immer schwieriger, weil eine objektive Qualitätsbetrachtung gar nicht mehr möglich ist, d.h. das Qualität zum Erfolg führt. Eine bewusste Auflehnung im Sinne eines feministischen Diskurses gibt es also in meinem Werk nicht. Die Hinwendung zum männlichen Körper habe ich immer als Emanzipation aufgefasst. Dass ich Männer genieße, sie gerne anschaue, mich mit ihnen beschäftige. Das habe ich immer auch als Freiheit empfunden. Da wird man auch schnell in eine Schublade gesteckt und es kommt oft die Frage: „Ach, eine Frau hat das gemalt?“


Drotskaja: Frau Dietze, kennen Sie Alice Neel´s malerische Position?


Dietze: Alice Neel ist eine tolle Frau. Die Hinwendung zur Person, zum anderen Menschen ist gnadenlos. Behutsam, aber auch brutal. Also schonungslos. Sie legt alles aus.


Drotskaja: Die Zeichnung ist der rote Faden zwischen Ihren Bildern und den Werken von Neel und Maria Lassnig. Welche Rolle spielt sie in Ihrer Arbeit?


Dietze: Wenn ich an das Bildermachen denke, so habe ich eher eine formale Herangehensweise als dass ich an Inhalte denke. Das hat mit meiner Rationalität zu tun, bzw. mit meinem Charakter. So bin ich erzogen und so haben wir auch studiert. Das Ideal ist natürlich das Wie malen und das Was malen miteinander zu verbinden. Die Zeichnung hat mit Handwerk zu tun. Ich habe für die Studien zu Boxkämpfen vor dem Fernseher Videostills gezeichnet. Durch das ewige Tun und das Naturstudium kommt man erstmal dazu z.B. einen Kopf zeichnen zu können. Im Zeitalter von Beamern ermöglicht dieses Können eine Unabhängigkeit von technischen Hilfsmitteln. Auch wenn man zum Schluss dann eine ganz malerische Lösung findet.


Drotskaja: Sie zeigen in ihren Bildern ihre persönlichen Interessen und ihr Umfeld, das Sie in die Malerei inhaltlich einfließen lassen. Dabei entsteht seit Jahren ein sehr authentisches künstlerisches Werk. Wie lange haben Sie sich mit dem Thema des Kampfes beschäftigt?


Dietze: Ich habe mich von 2000 bis 2013 mit dem Thema Boxkampf beschäftigt. Es ist immer die Natur, die mich begeistert und der Körper. Das Existenzielle. Nicht bestimmte Handlungen von Menschen, aber Körper die da sind. Einfache Kompositionen haben mich immer interessiert. In der Natur das Komplexe, das Rauschhafte. Das was ich möchte ist eine Malerei zu erzeugen, die begeistert. Die Leute wollen meistens eine Geschichte, oftmals ist die Malerei an sich für viele unzugänglich. Aber das ist der Punkt an dem Malerei einsetzt. Trotzdem gibt es erzählerische Maler, die ich schätze. Der frühe Neo Rauch zum Beispiel oder Ruprecht von Kaufmann.


Drotskaja: Hatten/Haben Sie besonderes Interesse an bestimmten zeitgenössischen MalerInnen?


Dietze: Ich habe letztens Malerei von Adrian Gheni in der Nolan Judin Galerie in Berlin gesehen. Das hat mich sehr begeistert. Heute kann jeder Filme z.B. mit der Handykamera machen oder konsumieren. Wir sind allzeit von Bildern umgeben. Ein Bild ist vielleicht gut gemalt, aber das reicht heute zum Erfolg irgendwie nicht mehr. Oft spielt zeitgenössische Malerei mit Tricks. Da findet man Verruchtes, eine Tüte auf dem Kopf, keine Beine, Zwerge, bandagierte Mädchen und ähnliches. Und die Gesellschaft findet das klasse. Das liegt an deren Sehnsucht nach Unterhaltung, Bespaßung oder irgendeinem zusätzlichen Kick.


Drotskaja: Ich habe online in einem Artikel zu ihrer Arbeit gelesen, dass sie von Francis Bacon beeinflusst sind. Können Sie dazu was sagen?


Dietze: Ja, es gibt verschiedene Phasen bei Francis Bacon. Was ich besonders gut finde sind die Körper und Päpste im Käfig. Diese Käfige - ja, das ist eine ganz dolle malerische Entscheidung. Einen Körper drüber zu legen und eine Spannung aufzubauen zwischen organischen Massenm, zu so einer Härte. Die Figuren, die miteinander ringen. Diese Phase hat mich immer begeistert.


Drotskaja: Welche Rolle spielen Abstraktion und Verfremdung der Figur in Ihrer Arbeit? Welche Strategien der Verfremdung nutzen Sie für Ihre Malerei?


Dietze: Rumble in the Jungle (2016) im Pavillon am Milchhof in Berlin war die erste Ausstellung mit organischen Gebilden. Das sind nicht mehr einfach Blumensträuße, wie in der Willkommen Ausstellung. Es geht nun in etwas anderes über. Es war ein großer Schritt für mich gewesen vom naturalistischen Körper zur Verfremdung über zu gehen. Nicht Formen reiner Abstraktion, eher eine kollagenartige Malerei mit Ausschnitten, die man wiedererkennt. Ein Kopf, ein Tierkopf oder Blüten. Aber diese Dinge werden miteinander verzahnt und werden zu etwas Abstraktem. Chaos tut mir gut, weil ich mich frei machen kann. Das verbinde ich mit dem Wissen, das ich mir über die Jahre und im Studium angeeignet habe. Diese Aspekte ziehe ich zu einem Bild wieder zusammen. Eine reine chaotische Geste wäre mir zu wenig. In einem Bild will ich organisierte Hierarchien von Bildelementen verknüpfen (zeichnet). Es gibt eine übergeordnete Form, der sich die anderen Elemente unterordnen. Das Handwerk und das Formale habe ich durch Elke Hopfe in Dresden erlernt. Ich habe während des Studiums zahlreiche Reisen nach Italien unternommen um mir Renaissance Malerei anzuschauen. Dort habe ich diese Prinzipien in Bildern wieder erkannt.


Drotskaja: Was macht Ihrer Meinung nach malerische Qualität aus? Was sind Ihrer Meinung nach Herausforderungen in der figurativen Malerei der Gegenwart?


Dietze: Solange die Menschen existieren werden sie Menschen malen. Es ist total banal. Ich kann mir jetzt nicht erlauben zu behaupten wie viele Standbeine eine gute Malerei haben muss. Was wirklich immer wieder begeistert, sind Leute, die ein solides Handwerk haben. Sie sind in der Lage etwas zu machen weil sie bestimmte Dinge beherrschen. Dazu kommt die Idee, die das Können dann gestaltet. Das ist natürlich nicht das Einzige, denn das Handwerk hat nichts Geistiges. Das ist etwas, das man in sich trägt, was man aber auch schulen kann durch Musik, andere Kunst, Gedichte, Literatur. Das betrifft auch bestimmte Inhalte an Themen. Das Leben, das auf einen einströmt sowie die Ängste und die Verzweiflung der Menschen. Der Wille zur Kreativität. Wenn Bilder mit Beamer hergestellt werden bleibt eine oberflächliche, dünne Ausstrahlung von dem Bild selbst. Das Verdichten ist für mich immer wichtig gewesen. Das kommt daher, dass ich mich auch quäle und das durch das Scheitern. Sonst kommt kein Annedore Dietze raus! (lacht). Die Verdichtung erfolgt über die immer wiederkehrende Korrektur. Wenn ich das bewusst machen würde, würde das einen Trick in meiner Malerei bedeuten. Das heißt nicht, dass es auch für andere Maler zutrifft. Die Verdichtung wächst aus dem Chaos, das im Prozess zusammengezogen wird und durch meine Unzufriedenheit. Aber ich würde niemals bewusst darauf abzielen, dass der Prozess sichtbar ist.


Drotskaja: Seit der Auseinandersetzung mit Körper hat sich ihre teilweise durch dunkle Hintergründe dominierte Farbpalette verändert. Sie kommt besonders in der Reihe Flowers (2015/16) als an Volumen bereichert zum Ausdruck.


Dietze: Ich habe mich davon verabschiedet. Die Veränderung kam daher, das ich mich irgendwann wiederholt habe. Ich habe mich immer wieder auf das was ich kenne gestützt. Das Bild Unknown ist mit dem hellen Hintergrund auch eine Ausnahme innerhalb der Boxer Reihe. Da habe ich jetzt vor mir ein paar neue Wege zu eröffnen mit den Farben. Zum Beispiel Magenta, das habe ich früher nie gekauft. Oder bestimmte Blauarten. (…) Man stützt sich erst mal auf konservative Werte, dann kommt das durch Umstände, die ich jetzt auch nicht benennen kann, dass man sich da mal traut da was zu überschreiten, eine bestimmte Grenze.


Drotskaja: Vielen Dank für das Interview!